Rohstoffe sind Zukunft
Warum nutzt Deutschland seine beachtlichen Vorkommen an konventionellem und unkonventionellem Erdgas nicht intensiver?
Vortrag von Prof. Dr. Dr. Hans-Jürgen Kretzschmar | Donnerstag, 30. Juni, 18 Uhr
Der Krieg gegen die Ukraine und seine Konsequenzen stellen die deutsche Energiepolitik hinsichtlich Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit der Energieversorgung schonungslos auf den Prüfstand. Das trifft das stärkste Industrieland Europas, das einerseits eine sehr ambitionierte Energiewende eingeleitet hat [Ausstieg aus der Kernenergie 2022, Kohleausstieg bis spätestens 2038] und andererseits rund 70% seines Energiebedarfs durch Importe decken muss, vor allem bei Steinkohle [100%], Erdöl [98%] und Erdgas [94%]. Ein Wegfall der russischen Erdgaslieferungen nach Deutschland [ca. 49% des inländischen Verbrauchs] ist mittelfristig schwer kompensierbar und würde zu schweren, teils irreversiblen Schäden für deutsche Unternehmen und zu gesellschaftlichen Konflikten durch massive Arbeitslosigkeit, starke Preissteigerungen und einen Anstieg der Inflation führen. Die erste, allerdings bei weitem nicht ausreichende, Maßnahme zum Ersatz von russischem Erdgas ist die Steigerung der Importe von LNG-Gas [Flüssigerdgas], vor allem aus den USA. Für die bisherige deutsche Energiepolitik bedeutet die notwendige stärkere Nutzung von US-Erdgas eine ebenso schmerzhafte wie teure Zäsur, da die gesetzlichen Regelungen für die Gewinnung und deren staatliche Kontrolle in den USA, kaum mit den stringenten Vorschriften in Deutschland vergleichbar sind. Zudem erfolgt die Lieferung von LNG-Gas überwiegend zu aktuellen Marktpreisen und kaum auf der Grundlage langfristiger, meist preisgünstigerer und preisstabilerer Verträge. Die tatsächlichen kurz- und mittelfristigen Liefermöglichkeiten auch anderer Produzenten von LNG-Gas [Katar, Algerien, Norwegen u. a.] werden darüber hinaus von der aktuell weltweit begrenzten Logistik [Spezialtanker, LNG-Terminals] und ihren zum Teil langfristigen vertraglichen Lieferverpflichtungen gegenüber anderen Kunden deutlich eingeschränkt.
Diese kritischen Szenarien aktueller und zukünftiger Erdgasimporte rücken in Deutschland eine drängende, bisher unterdrückte Frage an die Politik in den Fokus: Warum nutzt Deutschland seine beachtlichen Vorkommen an konventionellem und unkonventionellem Erdgas nicht intensiver?
Der Vortrag erläutert nicht nur die Veranlassung, sondern auch das wissenschaftliche Know-how sowie die technischen und geologisch-geotechnischen Voraussetzungen, die dafür in Deutschland [noch] vorhanden sind, um die einheimischen Vorkommen zu nutzen. Vorgestellt werden Informationen zum Gasvorratspotential der deutschen Erdgaslagerstätten. Außerdem beleuchtet der Referent die Frackbehandlungs-Technik als ein wesentliches Erdgas-Stimulationsverfahren in Tiefbohrungen, ihre Durchführung in der Vergangenheit sowie die Sicherheit der Frackbehandlungen in Deutschland. Der Vortrag schließt mit Handlungsvorschlägen im regulativen und finanziellen Bereich im Abgleich mit der EU-Taxonomie einschließlich Maßnahmen zur Verbesserung der Akzeptanz der Bevölkerung für die einheimische Rohstoffgewinnung und die Sicherung von Fachkräften.
Referent:
Prof. Dr. Hans-Jürgen Kretzschmar ist Absolvent der TU Bergakademie Freiberg im Fach Tiefbohrtechnik, Erdöl- und Erdgasgewinnung. Er war Jahrzehnte im Dienst der deutschen Erdgasindustrie tätig als Geschäftsführer des Engineering-Unternehmens DBI Gas- und Umwelttechnik Leipzig/Freiberg, als Direktor des An-Institutes der TU Bergakademie DBI-Gastechnologisches Institut und als Professor für Untergrundgasspeicherung. Gegenwärtig ist er als Geschäftsführer des Fördervereins VFF der TU Bergakademie beschäftigt.
Ausstellungsführung:
Im Anschluss an den Vortrag wird eine Führung durch den neugestalteten Ausstellungsbereich 'Textilstraße' im Industriemuseum Chemnitz angeboten.
Erdgas bleibt – wie Erdöl – auch mit der Energiewende ein wichtiger Bodenschatz; sind diese doch Grundstoffe für die stoffliche Nutzung, wie z. B. in der chemischen Industrie. Kunstfasern und Geotextilien, sind jene Produkte, auf die beispielsweise die Ausstellung 'Textilstraße' im Industriemuseum Chemnitz eingeht. Dort erfahren wir aber auch die globalen Wegstrecken, die zum Beispiel eine einfache Fleecedecke vom Rohstoff bis zur Second-Hand-Nutzung vollzieht. Auch dieser Aspekt wirft Fragen auf, wie verantwortlich wir mit Ressource und Menschen umgehen.
Der Eintritt ist frei. Bitte beachten Sie die aktuell geltenden Corona-Schutzmaßnahmen.
Die Veranstaltungsreihe zum Projekt 'Rohstoffe sind Zukunft' wird gefördert durch das Sächsische Oberbergamt Freiberg, Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Sie wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Es ist ein Kooperationsprojekt des Industriemuseums Chemnitz mit dem Geokompetenzzentrum Freiberg e. V. [GKZ].